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Klimakatastrophe:

Anleitung für Realisten

Luisa Nuhr, The Pioneer • 18.12.2023

Die Politik will den Klimawandel aufhalten – und wird sehr wahrscheinlich mit diesem Ansinnen scheitern. Umso wichtiger ist es, sich an die Wetterextreme anzupassen. Das erfordert schnelle Entscheidungen, mutige Ideen – und eine neue Haltung.

Hendrik Brandis sucht Zukunft. Der Gründer und Partner des Venture Capital Fonds Earlybird in Berlin investiert in Start-ups, die Dinge anders machen. In seinem Portfolio befinden sich Firmen wie die Neobank N26, der Elektroflieger Lilium und der Logistiker Sennder

Doch eine Kategorie ist auffallend unterrepräsentiert: Brandis vermisst Start-ups, die Lösungen entwickeln gegen Wetterextreme wie Starkregen oder Dauerdürre. 

Für Brandis ist das keine Überraschung. Solche Gründungen sind selten. „Ich habe bisher kein relevantes Investment in die Klimaanpassung gesehen. Das Zielsegment spielt in der Branche noch keine Rolle“, sagt der erfahrene Investor. Jahrelang sei vor allem „der Klimaschutz“ gefördert worden, sagt er, sogar „ohne Priorisierung und häufig ohne Sinn und Verstand“. Aber der Klimawandel „ist leider Realität, er wird weiter kommen und bleiben. Wir müssen mit ihm leben.“ Brandis erwartet deswegen, „es wird Start-ups geben, die die Klimaanpassung zum Geschäftsmodell machen.“ 

Die Weltgemeinschaft sucht bislang vor allem nach Wegen, den Klimawandel zu begrenzen. Die klimaneutrale Transformation der Wirtschaft und Gesellschaft ist zwar richtig, um größeres Ungemach zu verhindern. Und Klimaschutzinnovationen wie Wasserstoff, Windräder und Solarpanels könnten, wenn es gut läuft, in Zukunft ein grüner Exportschlager „made in Germany“ werden. 

Aber der Mensch verhebt sich – zumal der Klimawandel den Machtpoker zwischen den Nationalstaaten nicht beendet hat. Billige Energie ist die Munition in der Waffenfabrik der Weltwirtschaft. Für mehr Wohlstand und zusätzliche Macht sind Amerikaner, Russen und Chinesen jederzeit bereit, ihre internationalen Zusagen zu brechen und weitere CO₂-Salven abzufeuern.

Maßnahmen zur Klimaanpassung sind daher eine politische Pflicht. Die hierfür notwendigen Informationen müssen mitgedacht werden. Es gibt kein „Entweder oder“, sondern nur ein „Sowohl als auch“ – Klimapolitik für Realisten eben.

Heute herrscht zwar weitgehend Konsens bei der Problembeschreibung, aber nicht bei der Lösung.

Das Ziel, die menschengemachte Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, ist ausweislich aller Prognosen gescheitert. Ein alternatives globales Ziel gibt es nicht. Die Erderwärmung wird bei den aktuellen Klimaschutzvorhaben eher 3,2 Grad betragen. 

Die regionalen Katastrophen nehmen zu – und sind eine Folge der Erwärmung. Allein in den vergangenen zwei Wochen wütete auf Hawaii der schlimmste Brand seit 100 Jahren, in Südost-Europa und China gab es Jahrhundertüberflutungen. 

Die Warnungen wirken inzwischen fatalistisch. Der Weltklimarat-Report 2023 schreibt: „Das Tempo und der Umfang der bisherigen Maßnahmen sowie die derzeitigen Pläne sind unzureichend, um den Klimawandel zu bekämpfen.“ 

Die Welt hat sich an den Krisenzustand gewöhnt – und tut zu wenig. Immerhin, so scheint es, findet langsam ein Umdenken statt. Im Vergleich zu UN-Chef António Guterres („the era of global burning“) bedient sich der seit Juli dieses Jahres amtierende Weltklimarat-Chef Jim Skea einer anderen Tonalität, um das mittlerweile abgestumpfte Weltpublikum zu erreichen:

Wenn man ständig nur die Botschaft aussendet, dass wir alle dem Untergang geweiht sind, dann lähmt das die Menschen und hält sie davon ab, die nötigen Maßnahmen zu ergreifen, um mit dem Klimawandel fertig zu werden.

Bislang standen Menschen, die von Klimaanpassung sprechen, schnell im Verdacht, den Klimaschutz aufzugeben. „Technologien zur Anpassung an das Klima sind tabuisiert, weil man damit impliziert, dass der Klimaschutz gescheitert ist, auch wenn das natürlich Blödsinn ist", sagt Investor Brandis.

Auch die Bundesregierung bringt das Tabu-Thema inzwischen zur Sprache. Mitte Juli hat das Ampel-Kabinett sogar ein Gesetz zur Klimaanpassung verabschiedet. Doch viel mehr als „Klimarisikoanalysen” und „Monitoringberichte” auf Länderebene enthalten die Paragrafen bisher nicht. 

Eine neue, vorsorgende Klimaanpassungsstrategie dürfte erst Ende 2024 kommen. Dort sollen messbare Ziele für die Resilienz Deutschlands festgelegt werden. Daraus ließen sich Maßnahmen ableiten. Die Finanzierung ist allerdings noch ungeklärt.

Bisher haben nur etwa ein Viertel der befragten Städte und Landkreise ein Klimaanpassungskonzept. Bei weiteren 22 Prozent ist laut einer Umfrage von NDR, WDR, BR und Correctiv ein Konzept in Arbeit. 16 Landkreise können noch gar nicht einschätzen, mit welchen Klimafolgen sie rechnen müssen.

Eine Aufarbeitung ist also bitter nötig, denn die gleiche Bundesregierung erwartet, dass uns die bevorstehenden Wetterextreme bis 2050 in der Spitze 900 Milliarden Euro kosten werden. Zwischen 2018 und 2022 kamen schon mehr als 80 Milliarden Euro Flut-, Hitze- und Sturmschäden zusammen. 

Für die Wirtschaft könnte das Thema ein großes Geschäft werden. „Klimaanpassung wird selbstverständlich ein riesiger Markt werden”, prophezeit Brandis. Dabei spielen Start-ups eine Rolle, ebenso wie etablierte Konzerne und natürlich die große und kleine Politik. 

• The Pioneer definiert im Folgenden acht Felder, auf denen eine Klimapolitik sich entfalten muss:

1. Die Schwammstadt: Vorbild Dänemark

Wenn in Kopenhagen Regen fällt, wird der Stadtteilpark in Sydhavnen seit diesem Jahr zum 15.000 Kubikmeter fassenden Auffangbecken. Eine Straße wurde dafür tiefergelegt, eine andere geneigt, damit das Wasser nach einem Starkregenevent in eine vorgesehene Richtung abfließen kann. Vier Milliarden Euro kostete das Projekt. Eine durchschnittliche Kopenhagener Familie zahlt dafür jährlich rund 120 Euro mehr für Wasser.

Die Akzeptanz ist dennoch hoch, nachdem ein Hochwasser 2011 einen Schaden von einer Milliarde Euro verursacht hatte. 

„Früher hat man versucht, Starkregen so schnell wie möglich über die Kanalisation abzuleiten“, sagt Wolfgang Günthert, Professor am Institut für Wasserwesen der Universität der Bundeswehr. „Heute hat man erkannt, dass das angesichts der Regenmengen, die bei besonders heftigen Unwettern vom Himmel fallen, nur mit gigantischem Aufwand möglich wäre. Wenn überhaupt.“ 

Das bedeutet aber auch: Städte müssen so funktionieren wie ein Schwamm. Es geht nicht immer gleich um Milliarden. Auch das Entsiegeln von Parkplätzen und die Begrünung von Dächern sind Maßnahmen, die in kleinerem Umfang umsetzbar sind. 

Die heutige Realität ist allerdings eine andere: Zwischen 1992 und 2021 wurden in Deutschland im Durchschnitt 168 Quadratkilometer pro Jahr neu versiegelt. Das heißt: Beton statt Erdboden. Es wird also eher entschwammt. Deutschland müsste in seiner Stadtentwicklung radikal umdenken. 

2. Die Green-City: Vorbild Singapur

Im Stadtstaat Singapur leben auf 719 Quadratkilometern, eine Fläche kleiner als Hamburg, 5,6 Millionen Menschen. Und doch ist die südostasiatische Metropole eine der grünsten Städte der Welt. Der Grund: Neben unzähligen Parks ist jedes zweite Gebäude begrünt. Bis 2030 sollen es 80 Prozent der Gebäude sein. 

Die üppige Begrünung macht das Leben ihrer Einwohner in mehrfacher Hinsicht angenehmer: Denn Pflanzen spenden nicht nur Schatten und Regenschutz und reinigen die Luft, sondern sie nehmen auch Wasser auf und geben dieses gleichmäßig an ihre Umwelt ab. Das hat einen kühlenden Effekt. In Singapur liegt die Durchschnittstemperatur ganzjährig bei 27 Grad Celsius. r

Für die neue Hitze-Ära auch in Europa sind solche Konzepte wertvoll. Durchschnittlich heizen sich Städte um 29 Prozent schneller auf als ländliche Gebiete und Megastädte sogar noch schneller, das ist das Ergebnis einer Studie der Ruhr-Universität Bochum zusammen mit der Yale University. 

Pflanzen dämmen diese Erwärmung ein. Mohammad Rahman vom Lehrstuhl für Strategie und Management der Landschaftsentwicklung an der TU München hat dazu am Beispiel von deutschen Städten geforscht, denn auch dort wird es immer heißer: 

Etwa 40 Prozent an Grünflächen in der bebauten Umwelt, einschließlich Rasenflächen, Gründächern und begrünten Wänden, könnten den extremen Hitzestress im Sommer auf die Hälfte reduzieren, ohne dass sich der Kältestress im Winter erhöht.

3. Die Kältebauweise: Vorbild Mykonos 

Weiß ist nicht gleich weiß – es gibt sogar eine „weißeste“ Farbe der Welt. Erfunden hat sie Xiulin Ruan, Professor für Maschinenbau an der Purdue Universität in Indiana, USA. Ruan wollte die Farbe entwickeln, um Dächer, Autos oder freie Flächen zu kühlen. Sein Weiß reflektiert 98 Prozent der Sonnenstrahlen zurück ins Weltall – ein effektiver Kühleffekt. 

Ein theoretisches Gedankenspiel lässt die Bedeutung dieser Farbe erahnen: Würde man die Hälfte der Sahara mit dem Weiß bedecken, würde der Planet gleich viel Wärme aufnehmen wie abgeben, und die globalen Temperaturen würden nicht mehr steigen. Das hat Jeremy Munday, Professor der University of California, Davis, ausgerechnet. 


Weltweiter Temperaturanstieg

 

Temperaturanstieg im Betrachtungszeitraum Juni 2017 - Juni 2022 im Vergleich zu 1951-1980, in Grad Celsius

Die Bewohner der griechischen Inseln – die bekannteste ist Mykonos – nutzen dieses Prinzip schon seit hunderten von Jahren. Viele Touristen bestaunen jährlich die Architektur. 

Weiße Infrastruktur in Städten würde vor Ort den Effekt der „Wärmeinsel“, das Phänomen, dass Städte aufgrund ihrer versiegelten Oberflächen und wärmespeichernden Bauweise besonders aufheizen, verringern. 

4. Die Gen-Pflanzen: Vorbild Mexiko

Auf den Feldern des mexikanischen Farmers Miguel Palazuelos wächst eine besondere Maispflanze. Ihre Stängel werden nur knapp über zwei Meter groß und sind deutlich kleiner als ihre konventionellen Artgenossen. Der Vorteil: Bei Stürmen knickt der Mais nicht so leicht um. 

Für die Landwirte bedeutet das bis zu 40 Prozent weniger Ertragsverlust, erklärt der deutsche Agrar-Konzern Bayer, der die Pflanze erfunden hat. Außerdem könne Pflanzenschutzmittel präziser eingesetzt werden und die Fläche dichter bepflanzt werden. 

Durch Züchtung, wie beim Mais des mexikanischen Farmers oder durch moderne Gentechnik, ließen sich einzelne Gene der Pflanzen-DNA gezielt verändern – und zwar schneller, als die Natur sich selbst an veränderte Bedingungen anpassen würde. In Deutschland herrscht ein Anbauverbot für die meisten genmanipulierten Pflanzen. Die Europäische Kommission schlägt nun auch den Einsatz neuer Gentechnik-Methoden (NGT) in Europa vor. Dabei geht es vor allem um die Crispr/Cas-Genschere.


CRISPR Genschere
Wie funktioniert die Genschere?
Schematische Darstellung der CRISPR-CAS9-Methode zum Editieren von Genen in Bakterien

Am Leibniz-Institut in Gatersleben forschen Nicolaus von Wirén und sein Team so bereits an Gersten-Pflanzen, die gegen den Gelbmosaikvirus resistent sind. Und sie züchteten Pflanzen mit längeren und größeren Wurzeln. Dadurch kann die Pflanze mehr Nährstoffe und Feuchtigkeit aus dem Boden ziehen.

Karin Guendel Gonzalez, Geschäftsführerin der Bayer-Sparte Crop Science, sieht dringenden Handlungsbedarf: 

Wir werden unter Einbußen leiden, wenn wir den Werkzeugkasten nicht erweitern, sondern nur noch beschränken.

Auch der Deutsche Bauernverband fordert eine Novellierung des europäischen Gentechnikrechts:

Im Zuge des Klimawandels nimmt auch die Geschwindigkeit zu, in der sich Anbausysteme und Nutzpflanzen an veränderte und extremere Standortbedingungen anpassen müssen. Damit dieser Spagat gelingen kann, kommt der Pflanzenzüchtung eine tragende Rolle zu.

Die strengen EU-Vorgaben für die Zulassung und Kennzeichnung von gentechnisch veränderten Nutzpflanzen stammen aus dem Jahr 2001. Sie reflektieren die Tatsache, dass derartige Experimente in einer der am dichtesten besiedelten Kulturlandschaften der Welt auch Risiken bergen, die eine kritische Auseinandersetzung mit der Technologie unabdingbar machen. 

5. Die Präzisions-Landwirtschaft: Vorbild Israel

In Israel war es schon vor der Klimaerwärmung heiß und trocken. Deswegen erfand Simcha Blass im Jahr 1959 die Tröpfchenbewässerung, als er in seinem Kibbuz in der Wüste Israels Landwirtschaft betreiben wollte.

Er fand heraus, dass die Zuführung von Wasser – und später auch Düngemittel und Pflanzenschutz – in Tröpfchenform direkt in die Erde deutlich effizienter ist als die Sprengung von oben. Bis zu 80 Prozent Wasser kann laut der University of Massachusetts gespart werden.

Heute nutzen alle israelischen Farmer Technologien der Präzisionsbewässerung – meist verbunden mit Sensorik, die die Bewässerung noch effizienter macht – und Blass’ Unternehmen Netafim wurde zum weltweiten Marktführer mit mehr als einer Milliarde Umsatz.

In Deutschland werden bisher erst drei Prozent der Agrarfläche überhaupt bewässert, doch Bauern kämpfen zunehmend mit der Dürre. In den vergangenen 20 Jahren hat Deutschland Wasser im Umfang des Bodensees verloren. 

Eine Tröpfchenrevolution auf dem Acker könnte Abhilfe schaffen.

6. Vertical farming: Vorbild Dubai 

In Dubai steht die größte vertikale Gemüse-Farm der Welt. Auf 23.000 Quadratmetern werden täglich bis zu drei Tonnen Gemüse produziert – und das mitten in der Wüste. Rund um die Uhr sorgen LED-Lampen und Klimaanlagen für optimale Wachstumsbedingungen. Statt auf der Erde wachsen die Pflanzen auf Kunststoffplatten. 

Das Wasser zirkuliert, deswegen braucht ein Kilo Gemüse nur 15 Liter Wasser im Vergleich zu 317 Liter in der traditionellen Landwirtschaft. Dünger und auch Pflanzenschutzmittel werden überflüssig. Weniger Input für mehr Output. Genau, was die Landwirtschaft braucht.

Mehr Effizienz auf dem Acker ist dringend nötig. Durch Monokulturen, Chemikalieneinsatz, Überweidung und Versiegelung gehen jedes Jahr laut Umweltbundesamt fruchtbare Agrarflächen von zehn Millionen Hektar verloren. Die Landwirtschaft muss ihre Produktivität um 50 Prozent bis zum Jahre 2050 erhöhen, prognostiziert die Food and Agriculture Organization (FAO). Ansonsten fehlen der Erde Flächen für die Lebensmittelproduktion von acht Milliarden Menschen. 

Im Juni hat das deutsche Start-up Veganz angekündigt, in Vertical-Farming-Technologie zu investieren, um Erbsen für Fleischalternativen zu züchten. Gründer Jan Bredack sagt: 

Die Technologie ist, was den Energiebedarf angeht, viel besser aufgestellt als alles, was auf dem Markt verfügbar ist.

Bredack meint, der Nutzen der künstlichen Anbauflächen gehe weit über sein Unternehmen hinaus: 

„Das ist einriesiger gesellschaftlicher Schritt”, so Bredack, denn durch die Technik lasse sich „Ernährungssicherheit überall auf der Welt” erreichen. 

In Deutschland stehen den vertikalen Farmen vor allem zwei Hürden im Weg: die teure Energie, denn der Stromverbrauch ist hoch. Und – was auch sonst – die Bürokratie.

In Pritzwalk etwa versuchen zwei Bauern aus den Niederlanden seit 2015 die größte vertikale Farm Europas zu bauen. Bisher sind sie an sich widersprechenden Naturschutzbehörden, Tierschutzauflagen für Kraniche und Sondergenehmigungen gescheitert. Von der neuen Deutschland-Geschwindigkeit – keine Spur. 

Die größte Abwasser-Recyclinganlage der Welt in Orange County, Kalifornien

7. Der Abwasser-Kreislauf: Vorbild USA

Im vergangenen Dezember wurde für den Süden von Kalifornien der Dürre-Notstand ausgerufen – 19 Millionen Menschen unterlagen obligatorischen Wasserbeschränkungen. 

Seit April gibt es wieder mehr Wasser – weil die größte Wasser-Recycling-Anlage der Welt in Betrieb gegangen ist. Bis zu einer Million Menschen werden von dort aus mit frischem Trinkwasser versorgt. 

Die Anlage, die es schon seit 2008 gibt und jetzt vergrößert wurde, reinigt Abwasser, das zuvor in den Pazifischen Ozean eingeleitet worden wäre. Das saubere Wasser wird dann zurück ins Grundwasser geleitet, versickert und gelangt zurück in den Trinkwasserkreislauf. 

In Deutschland und auf europäischer Ebene ist das verboten. Abwasser wird in Flüssen und später dann ins salzige Meerwasser abgeleitet. Schon die Verwendung von Abwasser für die Landwirtschaft ist streng reglementiert – vom Wasserhaushaltsgesetz über die Düngeverordnung bis zum Bodenschutzgesetz und der Rückstandsverordnung.

Braunschweig ist neben Wolfsburg die einzige Stadt, in der Bauern ihr Abwasser für ihre Pflanzen verwenden dürfen. Franziska Gromadecki, Geschäftsführerin des Abwasserverbands in Braunschweig, sagt: „Wenn wir das Wasser nicht nutzen würden, müssten wir Grundwasser nutzen.” Dazu käme, dass alle Geld sparen: Bauern, weil sie nicht für Grundwasser zahlen und die städtischen Betriebe, weil sie weniger Klärschlamm aufwändig entsorgen müssen. 

Technisch sei definitiv mehr möglich, versichert Gromadecki, allerdings gibt es Sorge um die Auswirkungen von Abwasser auf Mensch und Umwelt: 

In Deutschland gibt es durchaus Bedenkenträger – das sind Teile der Politik, aber auch die Verwaltung –, die Risiken sehen, die von der Fachwelt nicht immer geteilt werden.

Ihr Fazit: „Da geht noch viel mehr. Muss ein Golfplatz mit Trinkwasser bewässert werden?”

8. Der Hochleistungs-Baum: Vorbild USA

Auf einem verlassenem Gelände in Ohio – früher wurden dort Rohstoffe abgebaut – wurden vor Kurzem 31.000 Baumsetzlinge verschiedener Arten gepflanzt. Die Hybridsorten des US-Startups Living Carbon wurden mit Genen vom Kürbis und der Grünalge aufgepimpt. Angeblich wachsen sie 1,5-mal schneller als herkömmliche Bäume, haben stärkere Wurzeln und eine verbesserte Photosynthese. 

Bis Mitte nächsten Jahres will das Start-up vier bis fünf Millionen solcher Superbäume pflanzen – in den USA, denn auch im Wald ist Gentechnik in Deutschland verboten. Bis 2030 möchte das Start-up seine Anbaufläche verdoppeln – jedes Jahr. 

Ein Umbau der Waldfläche wäre auch in Deutschland sinnvoll: Knapp drei von elf Millionen Hektar Wald sind Monokulturen. Viele wurden nach dem Krieg in Mangelwirtschaft angebaut und halten dem Klimawandel heute nicht stand. 

Fast fünf Prozent der gesamten Waldfläche (rund 501.000 Hektar) in Deutschland sind in der Zeit von Januar 2018 bis April 2021 zerstört worden. Das zeigen Satellitenbilder des Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Durch den Klimawandel beschleunigt sich diese Entwicklung rasant, durch Dürre, Schädlingsbefall und Brände. 

Ein gesunder Mischwald wirkt wie ein Schwamm, denn er hält mehr Feuchtigkeit und brennt nicht so schnell wie Monokulturen. Aber, erklärt David Dohmen, Chef des Münchner Climate-Tech-Start-ups OCELL

Der Umbau von Wäldern ist eine Mammutaufgabe. Es muss über Jahre in Etappen passieren, wie bei einem Flickenteppich.

Fazit: Die Zeit drängt. Wer den Klimawandel ernst nimmt, darf ihn nicht nur beklagen, sondern muss sich ihm anpassen – in der Absicht, dessen Folgen für Menschen und Tiere erträglich zu gestalten. Wo der Alarmismus endet, beginnt eine grüne Realpolitik. Sie ist keine hinreichende, aber eine notwendige Reaktion. 

Die Diskussion um eine Klimaanpassungspolitik – die das größte Investitionsvolumen der jüngeren Geschichte auslösen dürfte – muss eröffnet werden, auch wenn unsere Regierungsparteien davon noch nichts hören wollen. 

Der Zukunftsforscher Prof. Robert Jungk hat insbesondere die jüngere Generation ermuntert, die Unbequemlichkeit der öffentlichen Isolation nicht zu scheuen:

Wer seiner Zeit voraus ist, bleibt oft jahrelang außer Hörweite.