Schoßgebete


Alle wichtigen Printmedien haben zum Kinostart die zweite Charlotte-Roche-Verfilmung „Schoßgebete“ (2014) besprochen. Da muss tittelbach.tv nicht zwei Jahre später zur TV-Premiere hinterherdackeln. Unser Service: Markante Kritik-Punkte & Passagen aus SZ, Spiegel online, FAZ und der ZEIT.

Die Geschichte

Elizabeth Kiehl (Lavinia Wilson) ist das, was man ein Nervenbündel nennen würde. Sie hangelt sich von Therapiesitzung zu Therapiesitzung, um mit ihrer Psychologin (Juliane Köhler) regelmäßig über ihr Ehe- und Sexleben zu sprechen, vor allem aber, um die Geister der Vergangenheit loszuwerden:

Bei einer Massenkarambolage starben ihre drei Geschwister; eine Boulevardzeitung schlachtete den Unfall erbarmungslos aus. Seitdem leidet Elizabeth unter Verfolgungswahn und häuft Neurosen an wie andere Frauen Schuhe. Und ihr Ehemann Georg (Jürgen Vogel) muss das Seinige dazu beitragen, dass es der Traumatisierten gut geht.

 

• Tod, Trauma & Sex als Erlösung – ein fataler Cocktail

Sex als Erlösung vom Trauma? Der Sex, den das wohlsituierte Ehepaar in ehehygienischer Absicht praktiziert, kann nicht einmal die Andeutung einer solchen Erlösung sein. Er läuft ab wie in einem deutschen Sexfilmchen der späten 1960er-Jahre: Dildo-Kauf in einem Sexshop, Bordellbesuch zwecks flottem Dreier – Apotheose einer Spießigkeit, die sich als Mehltau der Langweile über die gesamte Story legt.
War die Verfilmung von Roches Megahit „Feuchtgebiete“ vor einem Jahr eine Verniedlichung des Romans, eine Art feministisch-postfeministisches Pippi-Langstrumpf-Abenteuer in den Ekelzonen des Intimbereichs, so erscheint die „Schoßgebete“-Verfilmung als hilflose Suche nach dem Ton, in dem von Tod und Trauma erzählt werden könnte. Gemixt aus Sexkomödie und dem Trauma-Horror ergibt sich aber ein fataler Cocktail der Geschmacklosigkeit.

Rainer Gansera, Süddeutsche Zeitung

• Eine Art Stellungs-Best-Of aus der Charlotte-Roche-Vorlage

Wo sich das Buch um Ratio und Fellatio dreht, da wird in der Kinoadaption erkenntnistechnisch Trübsal geblasen. Die Räume sind groß, hell und von allen Spurenresten menschlichen Zusammenlebens bereinigt; möglicherweise sollen sie die innere Leere der Protagonisten widerspiegeln.
Die armen Hauptdarsteller Lavinia Wilson und Jürgen Vogel! Sie dürfen hier nicht wirklich spielen, sondern müssen eine Art Stellungs-Best-Of aus der Roche-Vorlage abspulen. Einmal sehen wir sie, wie sie in ihren Rollen auf der Terrasse des teuren Eigenheims Geschlechtsverkehr haben, ein anderes mal gönnen sie sich in einem geschmackvoll ausgeleuchteten Bordell eben Sex mit einer südamerikanischen Prostituierten.
Pikant? Brisant? Nein, die Sexszenen spielen in einem Ambiente wie für einen Diätwurst-Werbespot.

Christian Buß, Spiegel online

 

• Ein nachdenklicher, in Ansätzen verstörender Film

In den Schoßgebeten wird kein Körper spielerisch erkundet, sondern sexuelle Befriedigung aus dem tiefen Trauma heraus erklärt. „Nur beim Sex vergesse ich alle Probleme“, ist einer der ersten Sätze von Elizabeth. Gezeigt wird wenig, zwischen Kamera und Körper steht mal eine Fensterscheibe, mal dichter Zigarettenrauch. Auf den Zuschauer wirken diese Szenen dadurch allerdings wenig befreiend. Zu tragisch ist der Kontext, in dem Elizabeth ihren Mann bittet: „Fick mich ins Leben zurück.“
Es kann leicht schiefgehen, einen Film über den Tod zu drehen. Dialoge geraten schnell kitschig, der Schmerz bleibt bloße Behauptung. Wortmann weicht diesen Gefahren aus, indem er den schmerzhaften Bildern selbst nicht ausweicht. Darin ist er Roche ähnlich, sie macht in ihren Büchern Unaussprechliches lesbar, für manche ist gerade das verstörend. So sehr sich Film und Vorlage also unterscheiden: Wortmann ist ein nachdenklicher, in Ansätzen verstörender Film gelungen.

Sarah Schaschek, ZEIT.de

• Ohne jegliches Gespür für das Trauma der Frau

„Schoßgebete“, um es kurz zu machen, ist ein großer Schmarrn. Er erzählt von einer traumatisierten Frau, ohne dass wir je ein Gespür für ihr Trauma bekämen, und er erzählt vom Sex, der für diese Frau eine so bedeutsame Rolle bekommt, wie in einer Vorabendserie, sauber, spießig. Im selben Stil hätte sich auch noch ein „Tatort“, eine Fußballgeschichte oder eine beliebige Schnulze verfilmen lassen.

Verena Lueken, FAZ